Heimat Wolta,
ein kleines Dorf im Riesengebirge

von Dr. Helmut Fiedler, 65812 Bad Soden, vormals Wolta Nr. 2

Auszug aus dem Gedenkbuch der Gemeinde Wolta, welches auf Grund eines Gesetzes vom 30. Jänner 1920, Sammlung der Gesetze und Verordnungen Nr. 80, im Jahre 1922 angelegt wurde. Mit der Führung des Gedenkbuches bis 1945 war Herr Josef Ruhs, Wolta Nr. 17 – bekannt auch unter dem Hausnamen der "Lahme Ruhs" (Kriegsinvalide) – betraut. Wie er selbst als Einleitung schreibt, ist es nicht nur sein ernstes Bestreben den gesetzlichen Bestimmungen zu genügen, sondern sein vollstes Bemühen der Nachwelt ein wahres denkwürdiges Buch über alle Begebenheiten und Ereignisse in der Gemeinde, aus guten und schweren Tagen, in getreuer Wiedergabe zu hinterlegen. Nur der Widerhall der Volksstimme, bzw. die Meinung der Bewohnerschaft zu allen Ereignissen, Einrichtungen und Einführungen, sei in wahrer Weise niedergeschrieben:

Unsere Heimat in grauer Zeit:

Wenn wir in der Geschichte unserer Heimat zurückgehen, so finden wir zahlreiche Völker, die im Wandel der Zeiten auf dem Boden Böhmens ihre Wohnsitze aufgeschlagen hatten. Als ältestes sesshaftes Volk werden die keltische Bojer genannt, die dem Lande den Namen gaben. Außer ihnen gab es jedoch noch andere keltische Stämme. So siedelten im Riesengebirge (Asciburgium) neben den Bojern, die Korkonter. Diese sind die ältesten Bewohner unserer Heimat. Noch heute erinnert an sie der Krkonosch, der langgestreckte Gebirgsrücken in unserem Gebirge (Tschechisch heißt das Riesengebirge Krkonosche). Die Korkonter verschmolzen mit den anwohnenden mächtigen Bojern zu einem Volke und teilten so deren Geschicke.

Zu Beginn unserer Zeitrechnung begann sich Böhmen allmählich zu entvölkern. Die tapferen Bojer waren nicht imstande, die immer ungestümer andrängenden Germanen von ihren Grenzen abzuwehren. Sie verließen ihre Heimat und zogen in die Donauländer und nach Gallien. Ihre verlassenen Wohnsitze besetzten bald Marbods Markomannen und machten Böhmen zum Mittelpunkt eines germanischen Reiches. Öfter mag wohl der Jagdliebende Germane die mächtigen Urwälder durchstreift haben, die unsere Gebirgsgegend bedeckten. Ein halbes Jahrtausend war Böhmen germanisch. In fortwährenden Kämpfen mit den stammverwandten Nachbarn und den Heeren des untergehenden Römerreiches hatten die Germanen ihre Volkskraft jedoch bald verbraucht. Zur Zeit der Völkerwanderung standen sie unter hunnischer Herrschaft. In der Schlacht bei Catalaunum (451) kämpften sie noch an der Seite Attilas. Der Hunnenkönig erlitt eine furchtbare Niederlage und musste mit den Resten seines Heeres heimwärts ziehen. Der Name der Markomannen aber ist seit diesen Tagen verschollen. Jedenfalls blieben sie noch einige Zeit in ihren alten Wohnsitzen. Dann aber ereilte sie ein ähnliches Geschick wie die Bojer. Sie wurden von einem fremden Volke aus dem Lande hinaus gedrängt, und dieses Volk waren die von Osten kommenden Slawen. Die Markomannen waren nicht imstande, die Eindringlinge abzuwehren, und so mögen sie nun alsbald – teils freiwillig, teils gezwungen – über das schützende Randgebirge hinunter in die Donaugegend gezogen sein. Man nimmt an, dass die heutigen Bayern ihre Nachkommen sind.

Unsere Gebirgsgegenden sind von den Slawen in jener Zeit noch nicht besiedelt worden. Hier befand sich ja noch immer ein undurchdringlicher Urwald, der zur Ansiedlung keinesfalls lockte. Das weite Flachland des inneren Böhmens wurde zunächst von den bereits Ackerbau treibenden Slawen besiedelt. In den weiten Grenzwäldern hatte sich ebenfalls noch eine Zeitlang germanische Bevölkerung erhalten. Aber diese Bevölkerung hatte keinen dauernden Bestand gehabt.

Als die Beziehungen zwischen Böhmen und Polen reger wurden, treten unsere Grenzgebiete aus dem Dunkel der Geschichte besser hervor. Führte doch ein bequemer Weg durch das östliche Böhmen in das Odergebiet, das damals von Polen bewohnt war. Aber bald trat ein Umschwung der Verhältnisse ein. Mit scheelen Augen sahen die Polenherzöge die Ausbreitung der böhmischen Macht. Schon unter Boleslav II. kam es zu erbitterten Kämpfen zwischen Polen und Tschechen. Noch schlimmer wurden die Verhältnisse unter seinen Nachfolgern. Diese Kämpfe währten am stärksten von 1004 bis 1014. Damals sind unsere Gebirgsgegenden sehr oft von feindlichen Scharen heimgesucht worden. Deshalb wurden zur Sicherung des Einfallstores von Polen feste Grenzburgen angelegt. Dazu gehörten die Grenzfesten – Upa – mit dem heutigen Namen Trautenau, Hostinburg – heute Arnau und Cwojnov – Königinhof.


Die Entstehung der Ortschaft "Wolta"

Wie im Vorhergehenden berichtet wurde, war unsere Heimat in alten grauen Zeiten ein mächtiger Urwald und eine Wildnis, in der wilde Tiere wie Bären, Wölfe, Luchse und andere Raubtiere hausten. Als die Urbarmachung des Randgebirges von Böhmen, vom Inneren des Landes langsam begann, war, um den Grenzschmuggel Einhalt zu tun und der Streitigkeiten mit Polen (dem heutigen Schlesien) wegen, an der Stelle des heutigen Trautenau, die Grenzfeste Upa errichtet worden. Als später aus der Grenzfeste eine Ortschaft entstand, welche sich immer mehr vergrößerte und Handel und Wandel dann erblühen sollte, ging man daran, die Umgebung zu besiedeln.

Der Volkssage nach erhielten 60 Mann durch das Los je ein Gebiet um Trautenau und Schatzlar angewiesen, um es urbar zu machen und ein Dorf anzulegen. Die von Herzog Adalrich damit ausgezeichneten Mannen sollen tapfere Krieger gewesen sein. Einer dieser Ansiedler mit dem Namen Valentin Woltawa war berufen, die Ortschaft Wolta zu gründen. Nach dieser Sage fällt die Gründung unseres Ortes in das Jahr 1004. Dieser Ansiedler soll, nachdem er im Tale ein gesundes, ausgiebiges Wasser gefunden, auf einer waldfreien Anhöhe bei einer großen Linde eine Wohnhütte errichtet haben. Von seinem Namen hat die Ortschaft die Benennung "Wolta" erhalten. Das Bild der Linde ist als historisches Zeichen im Gemeindesiegel festgehalten worden.

An dieser Volkssage mag wohl etwas fabelhafte Ausschmückung sein. Urkundlich ist von der Gründung von Wolta aus jener Zeit nichts nachgewiesen. Die Besiedlung unserer Gegend nahm ihren Anfang unter der Regierung von König Premysel Ottokar I., und setzt am stärksten ein unter Ottokar II., in den Jahren 1253 bis 1278. Über das Gründungsjahr der anderen Ortschaften um Trautenau kann ebenfalls nichts nachgewiesen werden, nachdem in Trautenau die ältesten Aufzeichnungen und Chroniken durch die vielen Stadtbrände und kriegerischen Einfälle vernichtet worden sind. Die Gründung von Wolta nach der Sage um das Jahr 1004 ist auch aus diesem Grunde sehr unwahrscheinlich. Da in dieser Zeit die heftigsten Polenkämpfe hier einsetzten und nach denselben die Gegend von Räubergesindel durchstreift wurde, scheint eine Ansiedlung nicht gerade verlockend gewesen sein.

Wenn jener Valentin Woltawa auf der waldfreien Anhöhe unter der großen Linde dennoch als Begründer von Wolta in Betracht kommt, muss er eine lange Zeit Einsiedler geblieben sein.

Eine andere Sage schildert wieder, dass er aus Prag stamme, wo er an der Moldau ein kleines Häuschen hatte. Viel bestimmter werden die ersten Ansiedler unseres Heimatdörfleins mit der Urbarmachung der Wildnis im unteren Ortsteil in der Nähe der alten Straße begonnen haben, zumal diese Verbindungsstraße Prag – Breslau vor der Gründung unseres Ortes schon längst existierte.

Obzwar man aus jener Zeit wenig von dem Vorhandensein germanischer Bevölkerung in Böhmen vernimmt, so lehrt die Geschichte dennoch, dass sie nicht gänzlich verschwunden ist und nur an den Randgebirgen ein kümmerliches Leben fristete. Es wurden auch viele deutsche Geistliche nach Böhmen berufen, nachdem bei den Tschechen Priestermangel herrschte. Ja sogar einige böhmische Herzöge holten sich Töchter deutscher Fürstenhäuser als Gemahlinnen. Es ist anzunehmen, dass diese den nötigen Einfluss ausübten, dass die Germanen nicht gänzlich ausgerottet wurden.

Unter König Ottokar II. (auch der goldene König genannt) wurden zur Urbarmachung des Gebirges deutsche Kolonisten ins Land gerufen. So sind auch unter seiner Regierung in unsere heimischen Täler deutsche Bauer und Bürger eingewandert. Die Besiedlung unserer Gegend ist teilweise aus Schlesien erfolgt. Dafür bürgen auch heute noch unsere schlesische Mundart, Sitten und Gebräuche. Auch aus Franken und Thüringen trafen viele Kolonisten ein.


Der Vorgang bei der Anlegung eines Dorfes war folgender

Mit dem Unternehmer (Lokator) kam eine Anzahl Männer und Frauen mit ihren Haus- und Ackergeräten, die damals nur aus Holz bestanden, um eine Ortschaft zu gründen oder eine schon bestehende nach deutschem Rechte umzugestalten.

Mit dem Grundherrn (in unserer Gegend war es der König, dem ja der Grenzwald gehörte) hat der Unternehmer einen Vertrag geschlossen. Die ganze Dorfflur wurde ihm überwiesen. Er steckte die Grenzen gegen die Nachbardörfer ab und vermaß das Ackerland zu Hufen. Jeder Bauer erhielt einen. Den Bauern nannte man so auch den Hufner, auch Chalugner. Eine Hufe war ursprünglich ein Stück Ackerland von bestimmter, doch nach Ort, Zeit und Verhältnissen des Besitzenden eine wechselnde Größe, in später Zeit "Haus und Hof" genannt. Eine Hufe war damals beiläufig = 12 Ruten = 300 Seil = 13.200 Ellen = 60 Morgen. Ein Morgen ist nach heutigem Maß 25 Ar. Wo ein Pfarrer war, bekam er als Widmuth (Widmung) eine oder zwei Hufe.

Die Dorfanlage geschah nach dem "Deutschen Rechte". Dies heißt: Die Bauern erhielten ihre Gründe (Hufe) nicht als Pächter, sondern als vertragsmäßig eingekaufte Eigentümer. Sie mussten dafür Fronarbeit leisten und Zins zahlen. Die Grundlage zur Ansiedlung bildete ein von einem Bach bewässertes Tal. Jeder Kolonist erhielt einen rechts oder links vom Wasser aus laufenden Querstreifen Land. So entstand schließlich eine durch den Bachlauf und dem Ortsweg getrennte Doppelreihe von Bauernwirtschaften.

Zuerst errichtete sich der Siedler ein Blockhaus, um von hier aus den Wald urbar zu machen. Das Holz zum Bauen konnte er sich unentgeltlich aus dem Walde nehmen. Von den Bauernhöfen zogen sich nun die Felder in langen Streifen bis zu den Grenzen des nächsten Dorfes.

 Diese Dorfanlagen sind charakteristisch für alle kolonisierten Gebiete und werden Reihendörfer genannt.

Die wichtigste Persönlichkeit war also der Unternehmer. Er erhielt gewöhnlich zwei oder mehrere zinsfreie Hufe und war außerdem der Richter des Dorfes. Als solcher hatte er regelmäßig den Zins dem Grundherrn abzuliefern und für Ruhe und Ordnung im Dorfe zu sorgen. Der dritte Teil der Strafgelder verblieb ihm ebenfalls. Er hatte das Recht, im Orte eine Mühle zu errichten und fast immer das alleinige Schankrecht. Nachdem der Schulze die niedere Gerichtsbarkeit über die Bauern hatte, waren ihm zur Seite die "Schöppen" (Schöffen) bestellt. Sein übergeordneter Herr war der Vogt. Dieser hielt dreimal im Jahr einen Gerichtstag im Dorfe ab.

Bei den slawischen Bauern war damals die Geldwirtschaft noch nicht eingeführt. Sie zahlten daher ihre Abgaben in Naturalien. Der deutsche Bauer aber zahlte seinen Zins in Geld. Dieses war bei den damaligen Landesfürsten wohl eine sehr seltene, dafür um so begehrtere Einnahmequelle. Es war auch einer der Hauptgründe, warum der König von Böhmen auf seinem Besitze deutsche Bauern ansiedelte. Der König selbst scheint jedoch nicht lange im Besitz dieser Einkünfte geblieben zu sein. Denn schon im 14. Jahrhundert waren in unserer Gegend diese Rechte an Adlige, teils verkauft, teils verpfändet.

Zur Zeit der Ansiedlung der deutschen Kolonisten, befanden sich in unserer Gebirgsheimat auch noch kleine Reste der Germanen.  Auch von den Tschechen waren schon in einigen Dörfern Ackerbauer mit vorgeschoben worden. Jedoch, dass einige der deutschen Gemeinden unter dem Riesengebirge ursprünglich tschechische Ortsnamen hatten, weist nicht etwa auf eine vorhandene vollzählige tschechische Ortsbevölkerung hin. Nein, die Anlage aller Dörfer ist durchaus deutsch. Nur waren in jener Zeit in unserem östlichen Böhmen hier und da "Grenzhüter" angesiedelt, die tschechische Namen trugen und die von böhmischen Fürsten zur Sicherung der Grenze gegen die Poleneinfälle aufgestellt waren. Von diesen Grenzhütern übernahmen oft die neu ankommenden deutschen Bauern die bereits vergebenen tschechischen Flurnamen.

Trautenau besitzt die ersten geschichtlichen Urkunden erst seit dem Jahre 1260. Danach befand sich zu dieser Zeit an der Stelle von dem heutigen Trautenau ein Marktflecken namens Aupa, tschechisch Upa, und in dessen Nähe einige kleine Dörfer, deren Gründung aber unbestimmt bleibt.

Aus diesen Urkunden ist ebenfalls zu entnehmen, dass die Herrscher Böhmens seinerzeit eifrig bemüht waren, deutsche Kultur nach Böhmen zu verpflanzen und als Träger deutsche Bauern und Handwerker im Lande anzusiedeln und sesshaft zu machen. So haben die Deutschen als emsige Landwirte und Handwerker mit Segen bringenden Werkzeugen des Ackerbaues und des Gewerbes den Urwald gelichtet und in blühende Fluren verwandelt. Sie haben sich im Schweiß ihres Angesichtes durch rastlose Arbeit die neue Heimat selbst erworben.

Unsere Heimat war immer der Kampfplatz aller Kriege, die das Land Böhmen bedrohten. Und wenn unsere Berge erzählen könnten - sie wüssten nur von wenigen guten Tagen - über Schreckliches würden sie berichten, von Kriegen, Krankheiten und Hungersnot.

In einer Urkunde von Herzog Sobieslaw II. 1176 heißt es:

"Ich nehme die Deutschen in meine Gnade und meinen Schutz auf und will, dass sie, wie sie als Volk verschieden sind von den Tschechen, so auch geschieden seien von den Tschechen in Recht und Brauch. Ich gewähre ihnen zu leben nach dem Gesetz und dem Recht der Deutschen, das sie seit der Zeit meines Großvaters, des Königs Wratislaw, innehaben. Und wisset, dass die Deutschen freie Leute sind".

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