Quelle: "Aus Rübezahl Heimat", Heft: November Folge 11/I – 1951

Erinnerungen aus der AEG in Trautenau

Von Hans Dix, Bückeburg

Aus allen Teilen des Sudetenlandes wurden in den verschiedensten Vertriebenenzeitungen Berichte über die tschechischen Gewaltdaten gebracht; aber ich vermisste bisher einen ausführlichen Tatsachenbericht aus dem Kreise Trautenau, obwohl auch hier, insbesondere die in der AEG stattgefundenen tschechischen Schandtaten zum Himmel schreien, und denen in anderen Kreisen in nichts nachstehen.

So will ich denn versuchen, meine diesbezüglichen traurigen Erinnerungen in einigen Einzelheiten niederzuschreiben, nicht zu dem Zwecke, aufs Neue Hass zu säen, sondern um diese Greueltaten festzuhalten für nachfolgende Generationen. Viele dieser Scheußlichkeiten sind bereits nach den vergangenen sechs Jahren verblasst, und so kann ich mit gutem Gewissen behaupten, dass alle diesbezüglichen Schilderungen mit gemäßigter Abgeklärtheit wiedergegeben sind.

Die schlimmste Zeit des tschechischen Terrors im Kreise Trautenau fällt auch hier in die Monate Juni und Juli 1945. Am 03.06.1945 wurden wir (etwa 25 Kameraden, darunter 4 Frauen) in einem vierstündigen Fußmarsch von M. nach Trautenau in der größten Sommerhitze getrieben. Fußkranken wurde mit Kolbenstößen nachgeholfen. Mitleidige Passanten, die diesem Elendszug begegneten, wurden mit angelegtem Gewehr verhalten, weiterzugehen und von uns wegzusehen. Müde in Trautenau angelangt, mussten wir bei einem niedergehenden Gewitter mit Hagelschlag ungeschützt noch 2 Stunden im Fabrikhofe  der ehemaligen Faltisfabrik – AEG – stehen. Die Hüte wurden uns von den Köpfen geschlagen, damit wir auch die Hagelkörner in ihrer vollen Wucht verspüren sollten. Der fußmarode Kamerad R., der sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, fiel auf einen der dort befindlichen Sandhaufen nieder. Als dies einer der tschechischen Kulturjünger bemerkte, eilte er auf ihn zu, warf den Entkräfteten vollends um, entriss ihm den festen Eichenstock und hieb unbarmherzig mit allen Kräften beidarmig auf ihn los.

Endlich wurden wir in einen Fabriksaal getrieben, Uhr, Geld, Messer und Papiere wurden uns abgenommen. Der Raum war unheimlich dunkel, denn alle Fenster waren mit Brettern verschalt, so dass wir von der Welt luft-, licht- und schalldicht abgeschlossen waren. Die Luft war verbraucht und stickig. Erst jetzt gewahrten wir am anderen Ende des Saales etwa 80 Männer aus Trautenau. Sofort fiel uns ihr verängstigtes und eingeschüchtertes Wesen auf. Sie flüsterten uns später zu, dass sie uns bedauerten, auch in diese Hölle geraten zu sein, und doch konnte man bei ihnen ein leises Aufatmen heraus hören, das wir uns erst später erklären konnten; da sie wussten , dass nun die Qualen nach dem bekannten Sprichwort; "Geteilter Schmerz ist halber Schmerz" von uns mitgetragen würden. Ja ich muss leider gestehen, dass es uns später selber so ging; denn immer, wenn neue Trupps Gefangener eingeliefert wurden, war es insofern eine Erleichterung zu verspüren, da sich die ganze Wut tschechischer Schergen auf die Neulinge entlud.

Ununterbrochen wurden aus allen Teilen des Kreises Männer mit Gummiknüppeln und echt tschechischem Stimmaufwand hereingetrieben. Noch am gleichen Tage war der Saal überfüllt. Der harte Zementfußboden war durch Wochen hindurch unser Lager, und erst am zweiten Tage gab ersten schwarzen Kaffee. Schlimmer als die körperlichen Züchtigungen waren die furchtbaren sanitären Zustände. Infolge des Genusses schlechter Nahrung, die man uns gegeben, erkrankten alle an Durchfall. Die Notdurft musste im finsteren Saale verrichtet werden. Da gab es erst nur 3 offene Kübel (später waren es 8 bis 10) für 250 bis 300 Mann. Der Gestank wurde unerträglich, denn nur ein kleiner Flügel des einzigen unverschalten Fensters durfte geöffnet werden. Die Kübel erwiesen sich als viel zu klein und liefen über, durften aber erst am nächsten Tage entleert werden. An Schlaf war trotz Müdigkeit wegen ständiger gegenseitiger Störung, hervorgerufen durch den argen Platzmangel, in den folgenden Nächten nicht zu denken. Ferner musste jeder gegenwärtig sein, aufzuspringen zu müssen, sobald einer der tschechischen Türwärter in den Saal kam. Und das taten diese nur allzu oft, um uns nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Wehe demjenigen, der in seinem Traumzustande nicht rechtzeitig in Habachtstellung kam. Er wurde Anlass zu einer Prügelstrafe, für die anderen aber bedeutete es den Beginn einer Reihe turnerischen Übungen. In Schweiß gebadet warfen wir uns wieder auf das harte Lager. Glaubte man nun endlich einschlafen zu können, so stolperte einer nach dem anderen, der es zum Kübel eilig hatte, fluchend in der Finsternis über die Beine der anderen. Am frühen Morgen mussten alle mit entblößtem Oberkörper im Laufschritt (po klus) zum Waschraum eilen. An der offenen Saaltür standen 2 Tschechen, die mit ihren Gummiknüppeln jeden Durcheilenden zu treffen suchten. Da mich kein Fett am raschen Laufen hinderte, gelang es mir geschickt den Schlägen auszuweichen. Ich wurde jedoch zurückgeholt und erhielt nun einen Hieb über die Schläfe, dass ich betäubt zusammenbrach. Ich wurde blutüberströmt in den Waschraum geschleppt und mit kaltem Wasser überschüttet. Eine Schramme ziert noch heute mein Gesicht und hält die Erinnerung an diese tschechische Heldentat in mir dauernd wach.

Diese Waschräume hatten es überhaupt in sich, denn es waren die eigentlichen Prügelkammern, und die immer schwächer werdenden Schreie der dorthin gebrachten Unglücklichen ließen uns das Furchtbarste ahnen, und wir warteten vergebens auf ihre Rückkehr. Ein trauriges, oder sollte man lieber sagen ein gütiges Schicksal hatte sie von allen Quälereien für immer erlöst.

Hörten wir an der Eisentür die Schlüssel rasseln, dann war es ratsam aufzuspringen, um nicht durch eine verspätete Bewegung die Wut des kleinen Kommandanten Chramosta zu reizen, der, wie übrigens  alle Tschechen, von sich behauptete, im deutschen KZ gewesen zu sein und an uns ausprobierte, was er selbst erlebt haben wollte. Aber nie hat uns einer dieser Helden verraten, aus welchen Gründen er in diesem KZ gelandet war. Standen nicht alle Kameraden regungslos nach seinem Wunsch, dann ging es minutenlang "nieder!" – "auf  nieder!". Auf die Körper der Liegenden springend, eilte er dorthin, wo einer oder der andere dem raschen Kommando nicht folgen konnte und half mit seinem Gummiknüppel nach. Dabei feuerte er mit seinem Revolver über unsere Köpfe hinweg, und oft habe ich mich gewundert, dass durch die herumklatschenden Kugeln niemand verletzt wurde. Amüsant ist die Tatsache, dass dieser Tyrann eine Französin zur Frau hatte, mit der er sich nur in der von ihm verhassten deutschen Sprache verständigen konnte, die er uns, unter Strafandrohung zu sprechen verbot.

Betrat dieser Kommandant den Saal, so musste der hier ebenfalls eingesperrte Leiter der ehemaligen AEG namens Berger, vor ihn hintreten und sein "hlasim se" (ich melde mich) rufen, worauf er jedes Mal nach Empfang zweier kräftiger Ohrfeigen in die Reihe zurück taumelte. Bereits in der ersten Nacht wurde mit herabgefetzter Kleidung und aus vielen Wunden blutend unter furchtbarem Geschrei ein kräftiger Mann (ich glaube, dass er Kneifel hieß und aus dem südlichen Teile des Kreises stammte) hereingeschleppt. Gerade vor meinem Lager musste er stehen bleiben, seine Kleiderreste wurden ihm heruntergefetzt und er dann verprügelt. Ich und mein Lagerkamerad waren ganz mit Blut bespritzt. Auf den Zehnspitzen stehend, mit hochgehobenen Armen musste er nackt die ganze Nacht zubringen. Sobald seine Kräfte nachließen, stürzte der am Türloch beobachtende Wachposten herein und frischte seine Kräfte mit einem Knüppel wieder auf.

Am 09. oder war es am 13. Juni (den furchtbarsten Tagen in meiner Gefangenschaft) lag ich nach einem Ohnmachtsanfall auf einer Drahtpritsche als dieser erwähnte Kamerad ebenfalls in meiner nächsten Nähe seine letzten Schläge erhielt und tot zu Boden stürzte. Die hier übliche Methode, mit einem Kübel kaltem Wasser nachzuhelfen, versagte hier. An den Füßen wurde er tot hinausgezerrt. An ähnliche Prügelszenen mit Wasserkur kann ich mich noch an mehrere erinnern, doch möchte ich die Namen der Unglücklichen verschweigen. Da später noch ein zweiter und dritter Saal mit Häftlingen belegt wurde, dürften sich auch dort die gleichen Szenen abgespielt haben, die sich jedoch meiner Kenntnis entziehen. Zwei Fälle möchte ich aus diesen Schreckenstagen noch herausgreifen:

Da war auch ein gebürtiger Franzose in dem Betriebe der ehemaligen AEG beschäftigt gewesen, der angeblich der SS angehörte. Er wurde von dem Stellv. Kommandanten Prochaska so verprügelt, dass er die Sprache verlor und verblödete. Kam der Schinder in den Saal, so sprang der unglückliche Franzose auf seinen Peiniger zu, umarmte und streichelte ihn und wollte nicht von seiner Seite weichen. Das war selbst diesem Unmenschen zuviel. Und er suchte seine Untat und Rohheit durch Güte auszugleichen. Schon nach einigen Tagen war der Franzose aus unserem Saal verschwunden, und ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich annehme, dass man sich diesen gefährlichen Zeugen, bei dem sich nach und nach wieder die Sprache einstellte, gewaltsam entledigte. Auf einen Mord mehr oder weniger kam es in dieser Zeit den Banditen nicht an. — Der zweite Fall: Eines Tages wurden 3 Hitlerjungen im Alter von 15 – 18 Jahren eingeliefert, die aus ihrem Frondienst bei tschechischen Bauern infolge schlechter Behandlung getürmt waren. Über eine Bank gelegt, erhielten sie zunächst 50 Hiebe mit dem Gummiknüppel. Während die zwei älteren schon nach mehreren Schlägen aufheulten und halb ohnmächtig zu Boden sanken, verbiss der Jüngere mutig alle Schmerzen ohne einen Laut auszustoßen, bis die beiden Tschechischen Unmenschen, die einander in ihren Kraftleistungen ablösten, von selbst ermüdeten. Nun erst trat der bereits erwähnte Bluthund Prochaska in Aktion. Ein Junge nach dem anderen wurden auf einen Stuhl gedrückt, der Kopf desselben bei den Haaren durch einen Gehilfen nach hinten gerissen, und nun schlug der Kulturheld Prochaska mit einer Riemenpeitsche, mit eingenähten Metallspitzen abwechselnd von links nach rechts gegen Hals und Brust der Gefolterten. Erst färbte sich der Hals der Unglücklichen rot, dann blau, bis zuletzt das Blut aus den Striemen hervorspritzte; dann gaben sich die Bluthunde erst zufrieden. Wut und Zorn, aber auch Tränen spiegelten sich in unseren Gesichtern wieder bei dem Gedanken, dass solche und ähnliche Kulturtaten vielleicht zu gleicher Zeit an unseren unbeschützten Söhnen sich wiederholten und ungestraft geduldet werden mussten. Wer all dies mit angesehen, miterlebt hat, kann diese ungeheuerliche Geschehen niemals vergessen — wohl aber sollten wir stark genug sein, jeden Rachegedanken für immer zu unterdrücken, damit wir nicht auf jener Kulturstufe landen, die wir so verachten gelernt haben.

Bei der Schilderung dieser Zustände will ich jedoch den Gipfel all dieser Quälereien nicht unerwähnt lassen, die von uns besonders gefürchtet waren und einem Wild-West-Zirkus alle Ehre gemacht hätten. Obwohl uns dabei nicht zum Scherzen war, nannten wir diese Veranstaltungen unter uns "Parteikränzchen", da zu ihrer Bestreitung einmal die SS oder SA, dann wieder alle Parteifunktionäre oder Volkssturm aufgerufen wurde. Veranlassung zu diesen Zirkusdarbietungen bot meist der Lagerbesuch durch Juden oder andere prominente tschechische Gäste, die hier in der AEG umsonst ihren fanatischen Deutschenhass einmal durch persönliche Mitwirkung freien Lauf lassen konnten.

Unter dem Ruf "vsecky ven" (alle heraus) ging es im Laufschritt unter Peitschenhieben die Gänge entlang, die Stiegen hinab auf den Fabrikhof. Die Gäste hatten das Recht, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln bei dem Auf- und späterem Abtrieb, dieser deutschen Viehherde mitzuwirken. Ich brauche wohl nicht erst besonders zu erwähnen, dass sich keiner der hohen anwesenden Gäste dieser Mitwirkung entzog.

Für diese Vorführung bestand meist schon ein festes Programm, das ich hiermit den Lesern nur in groben Umrissen zur Kenntnis bringen kann. Die Kommandos erfolgten selbstverständlich tschechisch; wer sie nicht verstand, lernte sie in Kürze durch das Vorbild der anderen. War einer aus irgendwelchem Grunde der Übung nicht gewachsen, durfte er bestimmt auf die freundliche Mithilfe des Publikums durch Fußtritte, Schläge mit Zaunlatten oder Steinwürfe unbedingt rechnen. Im großen und ganzen war es nicht nur eine "Hetze" für uns Deutsche, sondern auch eine "Mordshetze" für Gäste und Veranstalter.

Waren wir im Hofe wie Turner aufgestellt, begann der Zirkus mit "auf!" und "nieder"! Erst schön langsam, dann immer schneller. Da wurde den Gästen zum Erstenmal warm, da sie sich beeilten, den zu Langsamen auf ihre Weise zu helfen. Plötzlich erscholl das Kommando "tocit se" (um die eigene Achse drehen). Mit Peitschen wurden wir in immer schneller werdendem Tempo wie die bekannten Kinderkreisel in den unwillkürlich einsetzenden und bezweckten Schwindel der Sinne versetzt, um dann bei dem folgenden Befehl "na zem" (zur Erde) nach allen Richtungen zu Boden zu stürzen. Kreuz und quer fielen wir unter großem "Hallo" der Zuschauer über- und gegeneinander, traten uns gegenseitig mit den Füßen oder schlugen uns an den ringsum abgestellten Autoruinen die Köpfe blutig. Dann folgte in der Reihe der Volksbelustigungen das Froschhüpfen um den Fabrikhof. Versuche es doch jeder durch zehn Minuten bei vorgesteckten Armen diese anstrengende Übung durchzuhalten! Dafür folgte dann eine ausgleichende, bequeme Übung, das "rovolat"! Da durften wir mit ausgestrecktem Körper über den Hof um die eigene Achse rollen. Besonders reizvoll gestaltete sich diese Übung bei Regenwetter. Korpulente Kameraden wurden dann dazu ausersehen, in einer Sonderschau die reichlich vorhandenen Pfützen durch Wälzen aufzusaugen. Dass wir alle durch unser verdrecktes, mohrenhaftes Aussehen einen "Extra Applaus" ernteten, ist leicht einzusehen. Auf und nieder, Liegestütz und dgl. bildeten weitere Zwischenübungen. Zuletzt erfolgte die gemeinste und erniedrigendste Zumutung. In zwei losen Reihen, mit den Gesichtern gegeneinander gestellt, mussten wir uns auf Kommando ohrfeigen und anspucken. Scharf wurden wir dabei überwacht, und wehe dem, der dabei ertappt wurde, nach Art des August im Zirkus Schlag und Schlag nur vorzutäuschen. Er wurde mit seinem Partner herausgestellt und musste nun seine Kraft vor seinem strengen Richtern unter Beweis stellen. Einem Kameraden wurde dabei sein künstliches Gebiss in weitem Bogen herausgeschlagen. Als Zugabe unserer Darbietungen wurde der "kotrmelec" (Purzelbaumschießen) den Gästen präsentiert, natürlich dort, wo die gröbste und spitzigste Schlacke lag. Als zehn- bis zwölfjähriger Junge war ich stets verzweifelt, dass mir kein Purzelbaum gelang, und erst als Vierundfünfzigjähriger habe ich in meiner Verzweiflung das bekannte Sprichwort: "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" zuschanden gemacht. Und wenn ich nicht die Kopfhaut voller Wunden gehabt hätte, ich hätte auf diese Leistung stolz sein können. Unter Lärm und Schmährufen, die hier zu wiederholen ich mich schäme, jagte man uns zurück. Abgehetzt und abgestumpft suchten wir dann an den sich  wie rasend gebärenden Gästen, die noch einmal ihren vollen Deutschenhass in ihre Schlaginstrumente hineinlegten, vorbeizukommen, und es war für jeden eine Erlösung, wenn er wieder den stinkenden Saal erreichte und sich zur kurzer Ruhe hinwerfen konnte.

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